2012-12-30

Meine Platte: Goodnight Vienna


Goodnight Vienna –
"Beaucoups Of Blues", "Self Portrait" und Der Nino aus Wien



Hank sagt, der Reggae kommt wieder. Seitdem er das behauptet, entspannt sich seine Version einer Skulptur von Jimmie Durham als Readymade in seinem Kreuzberger Atelier – ein aus Holzleisten geleimter Reggaemate. Ein Lieger, also ein Typ, der die Haltung von einem Liegestuhl einnimmt, und als Skulptur auch so aussieht wie ein Liegestuhl. Aber sicher nicht dazu taugt, sich richtig reinzulegen. Einer, der einfach so daliegt. Und in Hamburg habe jüngst ein Maler mit strenger Anweisung an den Galeristen in punkto Raumbeschallung ausgestellt – über die Dauer der Ausstellung dürfe nur Reggae laufen. Als dann im Nachttaxi neulich tatsächlich der Reggae lief, und ganz wunderbar zu dem winterlichen Schneegestöber draussen kontrastierte, erinnerten wir uns wie das war, als wir immer auf Reggae waren. Den ganzen Tag breit. Man musste sich geistig ausruhen, nach der ganzen Schulzeit. Irgendwann hatten wir auch das Ausruhen satt gehabt, und fragten uns „wo ist nur dein Leben“. Und der Reggae musste gehen. Kann sein, dass er jetzt wiederkommt, vielleicht aber gar nicht so sehr in der Musik, eher in der Kunst.
Das Folkloristische kehrt in die Rituale des Alltags zurück, und richtet sich neu ein. So, und in der Musik ist nun das Lied mit Text wieder da, der lyrische Song. Da kommt ein Junge mit Gitarre angeschlurft, exakt so alt wie wir waren, als wir den Reggae hörten, und auch er kommt aus einem Rausch heraus und fragt „wo ist nur dein Leben“, zumindest auf seinem Debüt-Album fragt er das, Der Nino aus Wien.
„Mit 15 oder 16 war ich in einer Gang, wir schnüffelten den ganzen Tag Klebstoff und in der Nacht klauten wir Fahrräder“ sagt der Nino. Aus den Tagträumen und Verbrechernächten krochen irgendwann Songs: „Jeden Abend sitze ich hier und höre die Lieder, meine größten Helden, viele sind tot, doch einige nicht. Ich weiß jedes Wort genau und doch hör ich sie wieder, und die Zeit vergeht so schnell bis der Morgen anbricht“.
Der Klebstoff leimt die Reime und kittet die Zeiten: Wir hören uns im Jahr 1970 wieder, plusminus 4-5 Jahre, die Helden sind die Beatles und Bob Dylan, Syd Barrett und Wolfgang Ambros, Lou Reed und die Kinks, und anscheinend immer wieder Bob Dylan. Der war genauso alt, als er zum ersten Mal auf dem Newport Folkfestival auftrat und weltberühmt wurde. Als junger Mann, der mit den alten Geistern in Kontakt stand, den Geistern der Volkssänger, der Barden und der Hofnarren. Den Stimmen der Landarbeiter. Die unter freiem Himmel ihr Lied singen. Und man wusste, dass er es ernst meinte, dieser minnesotische Minnesänger, dass dieser junge Mann noch viele Songs schreiben, und viele Platten aufnehmen würde.

Seit einem Jahr ist Nino Mandl jetzt "in Wien weltbekannt" als Der Nino aus Wien, wo er wöchentlich auftritt, wo er binnen einem Jahr zwei Alben veröffentlicht hat. „The Ocelot Show“ und „Down In Albern“, augenzwinkernde Referenz an ein Babyshambles-Album und Ortsangabe, wurde das Album doch im Wiener Ortsteil Albern aufgenommen, dem alten Donau-Hafen. Poetische Lieder, die mit einer ganz stimmigen Begleitmusik voll subtiler Farbtöne und unter Mitwirkung von Wiener Szenemusikern wie Sir Tralala schön gespielt und produziert wurden. Seit Tagen höre ich nun den Nino zum Einschlafen. Das funktioniert einfach sagenhaft. Und ist ja auch kein Wunder – wo doch die Musik aus Traumbrüchen kommt.
Ich schlafe dann immer sehr gut und sehr geistreich. Meist begleitet von barocken Fantasien, in denen zum Beispiel an langen Tafeln über Windmühlen, die sich in Riesen verwandeln, gelacht wird, in irgendeiner zwielichtigen Taverne in Cádiz oder Sevilla, Kastilien oder Asturias, jedenfalls irgendwo in Iberien zu der Zeit, da die spanische und die österreichische Krone sich den Hof machten, teilten oder ausduellierten. Das rührt nicht zuletzt von dieser Namensverwandtschaft her, die uns verbindet (zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Textes nannte sich der Autor dieser Zeilen "Die Feder aus München", Anmerkung zur Veröffentlichung im Outland). Eine, die für mich viel mit der üblichen Namensgebung der Flamencomusiker zu tun hat. Die wiederum eine höfische Tradition imitiert, wonach jeder Aristokrat seine eigene Abstammungslehre im Namen mit sich trägt. In der barocken Populärkultur ist es auch für Zigeuner und Personen niederen Standes selbstverständlich, sich durch ein „von“ im Namen adeln zu lassen, und so heissen die Flamencosänger etwa El Camarón de la Isla, La Perla de Cádiz oder El Niño de Jerez.
Nun also Der Nino aus Wien, Dichter der taumelnden Gestalt, der sich mit rätselhaften Sätzen im Halbdunkel fortbewegt. Sicher nicht mit der dämonischen Ergriffenheit eines Flamencosängers, aber doch im Besitz des Wissens um das Feuer, das uns beim Ablaufen unserer nächtlichen Kreise verspeist. Und dieses Wissen auf eine originäre und authentische Weise verkörpert. Auf die Frage, was man von seinen Alben erwarten dürfe, antwortet er ganz lapidar „Energie und Schuhe“. Gute Songs seien wie gute Schuhe, gut ausgetreten. 
In seinen Videoclips sieht man ihn gerne am Boden herumliegen und immer wieder hinfallen, in einer Bar oder mitten auf der Straße. Die Mode läuft immer Gefahr, aus der Mode zu kommen. Was mit der Zeit liegen bleibt, hat Charakter.
In der allmusic guide lesen wir: „There was a mini-genre of singer/songwriters in the late 60‘s and early 70‘s that has never gotten a name. They were folky but not exactly folk-rock and certainly not laid-back; sometimes pissed off but not full of rage; alienated but not incoherent; psychedelic tinged but not that weird; not averse to using orchestration in some cases but not that elaborately produced.“ Wie maßgeschneidert für den Nino aus Wien scheint mir diese Nicht-Schublade zu sein, die der Autor  des allmusic guide eigentlich für die Platten von Liedermachern zimmerte, die Jeff Monn, Paul Martin, John Braheny, Billy Joe Becoat, Dino Valenti, Sixto Rodriguez oder Skip Spence heissen. Mit manchen kommt man gut in den Tag, mit anderen besser in den Abend. Die Platten von Rodriguez und Skip Spence sind sicher so gut, dass sie eine würdigende Besprechung verdient haben. Anderswann.
Lieber möchte ich diese Meine Platte mit der Lieblingsplatte vom Nino beenden, „Self Portrait“ von Bob Dylan. Ein Doppelalbum voller Schwunglosigkeit, die ins Leere zielt. Dylan musste sich selber von dieser verrissenen und wegkritisierten Platte immer wieder distanzieren, bis er sie schließlich als Jux bezeichnete. "Self Portrait" erschien 1970 als Sammlung von Coverversionen und kitschigen Croonern. Sogar eine Instrumentalnummer findet sich darauf. Also vielleicht das Gegenteil von einem Selbstportrait, eher die totale Verweigerung dessen. Aber wer kann das schon so genau sagen. Möglicherweise fühlte sich Zimmermann damals nirgends so zu Hause, wie bei diesen Songs. Oder es war die Richtung, von der er sich erhoffte, nach Hause kommen zu können. Mit einer inszenierten Leugnung der von außen projezierten Erwartungen. Weswegen ich "Self Portrait" für aufrichtiger halte, als die meisten angeblich ernst gemeinten Dylans vorgeben zu sein. 
Meine Ausgabe teilt sich mit Ringo Starr’s "Beaucoups Of Blues" ein Cassettenband. Ein sehr nettes Album. Man freut sich beim Hören immer, wie gut die Beiden zusammengehen. "All the tired horses in the sun. How'm I supposed to get any ridin' done?" Nach Nashville gehen, und mit Countrycracks ein schmalziges Album lang Cowboy spielen. 1970 war das, da war Ringo für einen Moment lang größer als Bob Dylan. Da realisierte er seinen Traum. Nicht – wie hier inhaltlich passender gekommen wäre – auf "Goodnight Vienna".
Ich denke, "Self Portrait" ist Dylan's Austropop-Album; ein ironisch launisches, virtuos verspieltes, ur entspanntes und mitunter maßlos arges Album. Es lullt einen ein, wie ein minnesotischer Walzer von einem Hobo, der es geschafft hat. Schuhwerk bis ans Ende seiner Tage hat.
Hank sagt, es gäbe kein beschisseneres Coverartwork als das von "Self Portrait", es sei die langweiligste Idee der Popgeschichte. Nino sagt am Ende einer seiner stärksten Songs: „Es geht immer ums vollenden und den Superbowl“

(geschrieben Anfang März 2010, München. Drübergeschaut im Dezember 2012, München)

"La Malinche", Jimmie Durham

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