2023-11-20

Melanie Chacko in der PE Gallery, Taipei City

Auf der Post in Taipeh schien der Fall klar, zumindest in den überraschten Augen der Zuständigen für ‚Cargo Insurances‘: Nicht erst die unterwegs aus München witterungs- oder transportbedingt entstandenen Spuren einer langen Reise mochten die Angaben der Schadensmeldung ‚Water Damage‘ bestätigen, die Malereien selbst waren es, die den Tatbestand von Wasserschaden zu erfüllen schienen. Wenn auch das Tropfwasser in Melanie Chackos Kunst elementar geronnen und gebunden und also nichts ist, was sich so einfach bereinigen ließe wie das, was vor ein paar Jahren die übereifrige Putzkraft vom Dortmunder Museum Ostwall in dem Gummitrog aus Martin Kippenbergers Installation Wenn's anfängt durch die Decke zu tropfen vorfand.

Auf eine subtilere und sehr weiche Weise unterlaufen Melanie Chackos Bilder den normativen Blick an Grenzkontrollen und überflügeln Schranken der Wahrnehmung von Kunst. Es sind amorphe Gebilde, auf den ersten Blick gleich Frozen Gestures, doch alsbald entpuppen sie sich als organische Körper, die sich beim Betrachten weiter formen, zu Gestalten wie aus Liquid Gaze und endoplasmatischer Reticula. Sie sind Teilabschnitte einer Struktur, welche selbst über der Bilder Randbezirke und Ränder noch fortzulaufen scheint, Teil eines pluriversalen Ganzen. Jedes Bild von ihr wird so zu einer Ergänzung und ist doch selbst beseeltes Unikat.

Wassergeister stecken schon länger in ihren Arbeiten, so auch in ihrer neuesten Werkserie Wind blows on the dust And snorts like a tremendous beast. Anders als in ihrer Werkgruppe Wind im Körper, 2019 entstanden für den Kunstpavillon im Alten Botanischen Garten München, reagiert hier die Begegnung mit Luft und Feuer in einer vertikalen Bewegung zwischen Freiflächen und wie ausbelichtet blendend blinden Flecken. Andersherum gesichtet, sind die hellsten Orte jene, an welche niemals Licht gedrungen – es sind die wandernden Rauten, die schon durch Chackos diesjährige Arbeit für BEYOND THE MATTER - Impressions of Eva Hesse zogen. Ob es nun züngelnde Flammen oder Segel im Wind sind, ich denke dass die Künstlerin einen abgrundtiefen Ozean aus Teelichtern und ein Meer fliegender Geisterschiffe unterhält, ja mehr noch: Melanie Chacko macht sie sichtbar.

Das Erste, was ich vor ein paar Jahren von ihr gezeigt bekommen sah, war ein Addendum zu ihrer Arbeit non-finito, die Korrespondenz zwischen ihrem Vater und dessen Mutter, ihrer Großmutter, in Form von Briefen aus allen Häfen dieser Welt. Chackos Vater hatte diese als junger Matrose auf Frachtschiffen bereist, er war dem Ruf der Ferne gefolgt kaum dass er der Schule entwachsen war. Abgesehen von der See waren Wasserstädte wie Venedig und Amsterdam seine Lieblingsorte. Venedig mit seinen Wasserschäden, der Flut jahrhundertelange Arbeit an der Häuser Fassaden. Daran denke ich, wenn ich nun in Chackos Bilder eintauche. Daran, und an Italo Calvinos Unsichtbare Städte. Marco Polos Fabulierungen darin von Orten, die vielleicht niemals existiert hatten, oder gerade deshalb ganz gewiss, in der phantastischen Weite von Raum und Zeit. Marco Polo, der Venezianer, hat sie gesehen. In den Bildern von Melanie Chacko kehren sie wieder, als Krater und als Inseln. Atolle in einem Meer mikroskopischer Dimensionen. Alles wiederholt sich, vergeht sich und erholt sich, erholt sich und vergeht. Nichts davon identisch, es bleibt die Variation.


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