2015-11-24

Facebooktexte – Freitag, der 13.

 
Freitag, der 13.
Die ganze Woche über hatte eine nervöse Spannung in der Luft gelegen. Am Montag hätten Rio und ich beim morgendlichen Rollen durch Obergiesing in einer schmalen Seitenstraße hinterm Café Schaumamoi einem vermummten Sturmpolizisten beinahe den Weg abgeschnitten. Wie in einer Actionfilmszene schwang sich der Mann dann geschwind auf den Beifahrersitz eines dunkelblauen BMW, der aus der gegenüberliegenden Hofeinfahrt gebraust kam. Ehe er weg war fiel mir seine ebenfalls blaue Waffe ins Auge. So seltsam unsexy für eine Pistole, dachte ich. Und: So eine hässliche Waffe ist keine 0/8/15 Ausgeh-Pistole, sondern eine, die heute noch eine Bestimmung haben musste. Die Hässlichkeit sagte: Das hier ist ein Arbeitsgerät! Im Hof selber standen drei ebenfalls Vermummte in grünen Sicherheitswesten in einem nervösen Halbkreis, und der Blick, den ich dort hineinwarf gefiel ihnen gar nicht, so verboten wurde dieser erwidert. Ich empfand in diesem Moment den Kinderwagen als mein wichtigstes Kleidungsstück und ging den Rest der Straße betriebsam meiner fürsorglichen Rolle nach und versuchte auf das Gesehene zu pfeifen.
Am Dienstag stahl dann der Innenminister der Kanzlerin die Schau und war mit seinen Ideen auf Platz Eins der Zeitungsmeldungen. Am Mittwoch bekam ich eine E-Mail mit dem Wortlaut "Sei auf der Hut! Soeben bin ich aus einem Alptraum erwacht, in dem Du nicht besonders gut wegkamst." Den Absender kannte ich nicht, das machte die Woche noch spannender. Am Donnerstag lernte Rio seine Tanten und Cousinen kennen und es war ein strahlend schöner Tag. Beim Sonnenbaden im Biergarten am Chinesischen Turm wurden dann alle Opfer von einer Vogelschiss Luftpost. Am Freitag kannte meine Nervosität keine Grenzen mehr, was an dem Anruf lag, den ich noch am Donnerstag von Sus Sutherland erhalten hatte. "Wanna do some spoken word at my Corleone thing tomorrow?" Das Corleone hat nun nichts mit der Mafia zu tun, es ist nur eine Bar, in die die Leute aus dem Schlachthofviertel gehen um sich ausserhalb ihres Viertels zu treffen. Niemand auf der Welt hätte mich spontan und unvorbereitet zu einem gesprochenen Wort dorthin bestellen können ausser vielleicht Sus. Das liegt nicht nur an dem blaugelben Bild, das er mir von seiner letzten Ausstellung dort geschenkt hatte, und das ich jetzt hier, während ich diese Zeilen tippe, an der Wand hängen seh. Ich mag Sus einfach wirklich sehr. Also sagte ich zu und war den ganzen Freitag Vormittag damit beschäftigt ein Programm zusammenzustellen. Mittags um Zwölf mailte ich Sus den Infotext "Gabi Prinzip spricht: Neudeutsche Fight Songs" und machte mich nach dem Mittagessen daran, "Everybody Was Kung-Fu Fighting" ins Deutsche zu übersetzen:



"Alle waren am Kung-Fu-kämpfen

Diese Tritte waren schnell wie der Blitz
 

Tatsächlich war es ein kleines Bisschen beängstigend
 

Doch sie kämpften mit erfahrenen Bewegungen"

Das hatte irgendwie Schmiss. Als Backing Track fand ich dazu die Filmmusikplatte zu Birdman passend, nervöses Getrommel, sonst nichts. Beat Poetry! Ausserdem hat der Schlagzeuger denselben Familiennamen wie ich. Den Rest vom Nachmittag war ich mit spannungsgeladenem Spazierengehen beschäftigt. Zwischendrin traf ich Daniel Murena und Matthias Startklar in einem Reisebistro der Deutschen Bahn und wir heckten einen Plan für ein geheimes Rockkonzert für die Zeit zwischen Weihnachten und Sylvester aus. Ihr erfahrt noch davon! Mir blieb kaum Zeit Abend zu Essen, da spannte sich vor einer nasskalten Nacht der Abend im Corleone wie ein warmes Laternenlicht auf. Ich freute mich, mit Flo Stielow neben Sus einen weiteren Künstler, den ich sehr mag, noch vor der Tür anzutreffen. Flo hatte beim Das Weiße Pferd Konzert Anfang des Jahres im Milla dieses großartige Foto geschossen, just in dem Moment abgedrückt, da ich eine Spielkarte ins Publikum werfe. Das trainierte Reaktionsvermögen des Sportfotografen! Drinnen traf ich glücklicherweise gleich auf Émilie Gendron, die für mein Handicap, die neuen Texte nicht auswendig zu können, eine Lösung parat hatte: Sus wünschte sich, dass ich die Texte als Opening Ceremony auf dem Bartresen stehend in die Menge schmetterte, und Émilie würde die Textblätter vor mir stehend über ihren Kopf halten, und so taten wir es. Émilie beherrscht nämlich mittlerweile die deutsche Sprache richtig gut, das wissen nur die Wenigsten, aber sie folgte meinen spoken words und las parallel von meinen Lippen und den Zeilen ohne dass wir es vorher geübt hätten und blätterte ganz wunderbar. Leo Vom Dach war zwischenzeitlich hinter seiner DJ Burg aufgetaucht und sprang mir bei der Aussteuerung vom Mikro zur Seite. Auf der Bar im Corleone zu stehen und "Sieh den Dschungel, Dschungel voraus! Zieh los mit deiner Gang ja, mach dich zum Affen durch die ganze Stadt" zu plärren war alles in allem jedenfalls ein sehr erhebender Moment und Sus war glücklich. Bei "Rock'n'Roll Haltestelle" dachten alle, ich hätte den Text speziell auf Flo Stielow's tolle Videos zugeschnitten: immer wenn das Wort "Sternwarte" fiel, gab es an der Wand Flo's NASA Weltallbilder zu sehen. Für den Fall, dass mich der Tresen nach dem Kung-Fu Stück noch länger tragen wollte, hatte ich noch einen weiteren Fight Song vorbereitet, eine Übersetzung von einem spanischen Songtext von Kiko Veneno, der ging so:

"Hättest du nicht den Wecker nach mir geworfen
hätte ich nicht die Nachttischlampe nach dir geworfen

Hättest du mich nicht mit dem Hausschuh getroffen
hätte dich nicht unser Portraitbild getroffen

Hättest du mich nicht mit der Kommode erschlagen
hätte ich dich nicht unter dem Kleiderschrank begraben

Wärst du nicht so ein Amerikaner
wär ich nicht so ein Russe"


Aber wir liessen es gut sein und die sehr aufmerksame Bardame spendierte mir einen Munich Mule mit extra viel Gin. Gleich danach bekam ich einen Gin Tonic mit auch extra viel Gin – (hey Sus, den könntest du mir eigentlich noch rückwirkend spendieren!) – und Leo liess die Rillen sprechen während die fröhlich launigen Leute in die schrillsten Lichtgewebe getaucht wurden. Émilie war weitergezogen, die Grexits im Import Export aufzuschnappen, dafür kam BELP ins DJ Eck gestellt, mit professoraler Wachsamkeit überprüfend, ob der gute Leo auch regelmäßig die Schamoni Musik Produktion "Skläsh" durch den Verstärker reichte. BELP und ich, wir waren uns schon länger nicht begegnet, da freute ich mich auch hier über ein gesprochenes Wort. Leo spielte die Doors – "Break On Through To The Other Side" – da kam Angela Aux zur Tür rein, bleich wie der Tag, sah mich und überbrachte die Nachricht: "Ich glaub ich pack das hier jetzt nicht." Er war ganz verstört. "Paris macht mich fertig." Ich verstand nicht und dachte zuerst ihm war Paris aus dem Aloa Input Tourplan gestrichen worden. "Ja hast du's nicht gehört? In Paris gab's mehrere Anschläge. Auf einem Metal Konzert soll's hundert Tote gegeben haben. Man weiss noch nichts Genaues." Es war so laut, dass ich nur "Heavy Metal Konzert" verstand und diese grässliche Nachricht so an Leo und BELP weitergab. Wir rätselten ein bisschen, was für ein Metal Konzert das gewesen sein könnte, Leo und ich waren uns einig, dass es in unseren Leben eine Zeit vor und eine Zeit nach 09/11 gibt, und ich begab mich erneut nervös aber zumindest betrunken auf den Nachhauseweg.
Die Besucher der "Eagles Of Death Metal" waren wie Schlachthasen exekutiert worden. Es war kurz vor drei Uhr, am Morgen des 14. November, als ich die Meldung las, Paul Pötsch für seinen guten Kommentar ein Like gab, und den Rest der Nacht ratlos wie gelähmt in der Küche saß. Wir werden lernen müssen, uns an die Nacht zu gewöhnen.