TABU
Das
Krokodil im Pool schläft nicht. Es beobachtet alles, blickt stoisch
hinein ins Herz der schwarzweißen Sprachlosigkeit. Drunten im alten
Afrika, am Fuße des Monte Tabu. Eines Tages wird es als Erinnerung
wiederkehren. Dann wird es beissen. Und es wird ein Fressen für
Cinephile sein. Als Erinnerung von Aurora und Ventura, spielsüchtige
Abenteurer und Wilderer. Portugiesische Jeunesse dorée in Mosambik, 1961, kurz vor dem portugiesischen Kolonialkrieg. Sie liebten und sie verleugneten sich. Zugunsten
der Unantastbarkeit des Ehemannes von Aurora. Der einst Mario das Leben gerettet hatte. Und Mario ist Ventura's bester Freund. Sturmfreie Probleme
im „Paradiso“, in der zweiten Hälfte des Films. Stumm und
stillschweigend wie ein Tabu per definitionem nun einmal ist, oder wie der gleichnamige Film von F.W. Murnau aus dem Jahr
1931. Aber der Blick, der die Kultivierung vom imperialen Elternhaus hier reflektiert, könnte auch der von Guy Maddin sein. In den Formalismen von Anstand und Würde entdeckt Miguel Gomes das Groteske. Die Rechnung, die nicht aufgehen, beziehungsweise nicht ohne moralischem Bankrott ausgehen wird. Er enttarnt sie, Les Européens sauvage, oder eben Os europeus selvagem. Wenn beiläufig erzählt wird, dass Mario als Kartograph wunderschöne Pläne entwirft, die aber jeglicher Wissenschaftlichkeit entbehren, dann ist in diesem Detail eine ganze Klasse von reichen Kindern und Hochstaplern karikiert. Die Guttenbergs vom Monte Tabu. Ironischerweise kommen dem Zuschauer in einer Einstellung, wenn man genau hinsieht, afrikanische Kinder mit Obama T-Shirts entgegen. Vorgefundene Reality, die Gomes als Hintertür zur Jetztzeit intakt liess. Technischer Geniestreich in Tabu: Die
Dialoge sind nicht zu hören, wohl aber alle anderen Geräusche –
Türen schlagen, Motoren brummen, Schüsse fallen. Die Schauspieler sollen bei den Dreharbeiten die Dialogsequenzen mit spontanen Einfällen gefüllt haben. Ein hochinteressanter Film für gehörlose Lippenleser. Möglicherweise entstehen bei der Lektüre nochmal ganz drastische Tabubrüche.
TABU
Portugal/Deutschland/Brasilien/Frankreich 2012
Regie: Miguel Gomes
mit Teresa Madruga, Laura Soveral, Ana Moreira, Carlotto Cotta, Ivo Müller u.a.
Miguel Gomes liebt die Vielschichtigkeit, die weit verzweigte Geschichte. Das Motiv der portugiesischen Kolonialverbrechen wird dem mittlerweile greisen Ventura im Tonfall einer romantischen, äußerst fein ausfabulierten Sprache, in den Mund gelegt. Was ist kitschiger, die schulisch gelehrte Landesgeschichte, oder die radikal subjektive Geschichte von Ventura? Zwischen diesen Kontrasten verrät uns Gomes das poetische Geheimnis von Tabu.
Die
erste Hälfte von Tabu, „Paradise Lost“, spielt im heutigen Lissabon, dehnt die existenzielle Sinnlosigkeit der sterbenden Aurora, der "Morgenröte", zu einer Bonnuit Tristesse. Deren Trägheit erschliesst sich umso nachsichtiger, als der Film sich zu erinnern
beginnt, jugendlich und campy wird, und die Ramones und die Ronettes
den Dschungel Tränen kosten.
Les Surfs aus Madagascar singen "Tú serás mi Baby" von den Ronettes |
Veronica "Ronnie" Spector |
1 ESCUELA DE LOS RAMONES. 2 LOS PERTEGACES. 3 LA TOSCA Y FÁBRICA DE LANAS. |
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