Die Gefederten und die Geteerten
Ok, ich tu's wieder! Aber zunächst einmal will ich ein paar Dinge klarstellen. Es ist ja schon ein paar Jahre her, da ich etwas zu dieser wunderbaren Kolumne beigesteuert habe. Dabei war mir das Schreiben für „Meine Platte“ nicht nur wichtig, vielmehr bedeutete es mir die Erfüllung meiner journalistischen Ambition! Ich erinnere mich noch, wie angetan ich als kleiner Knirps vor dreißig Jahren von der Entdeckung dieser Doppelseite war, diese sofort als relevant einstufte: Wer sich in diesem Mitmachzirkel zu Wort meldete, der bedurfte dazu augenscheinlich keines Hochschulabschlusses oder so, nein, hier dazu zu gehören bedurfte einer Legitimation auf anderem Wege, einem, der von konkreter Tat und direkter Aktion ausgehend über die Bühnen dieser Stadt führen mochte. Und das war der einzige Weg, der mich interessierte. Fünfzehn Jahre später war ich drin in der IN, schrieb dies und jenes. Und anderes. Ein Dutzendmal "Meine Platte". Dann sechs Jahre lang nichts. Warum?
Die Antwort könnte lauten: Weil die Welt eine Platte, und diese so uferlos ist. Aloha, Meer aus Musik! Selber schon das ein oder andere Tonträger–Boot mit der eigenen Musik besetzt (huch, die eigene Musik!) den Wellen und Wogen übergeben, und so manche Produktion von geliebten colegas betreut, fällt ein neuerliches Bekenntnis zu Meine Platte nicht so leicht. Welche ist sie denn nun, ene mene meine? Ihr seid so viele, eure Geschichten verschwimmen ...
Und wenn ich mich in Rillen legte, die fern von meinem Fahrwasser laufen, so mag ich kaum von meiner Musik oder meiner Platte sprechen. Nicht dass mir die Musik so fern wäre, im Gegenteil, nah ist mir so vieles, warum also sollte ich es zu mein Eigen machen? Gleichzeitig bleibt das kindlich naive Festhalten an Meine Platte irgendwie sympathisch, kauzig. Insgesamt weniger unbehaglich, als wenn ich Euch jetzt meine Freundin, meine Frau oder meinen Mann vorstellte. Um nicht falsch verstanden zu werden – Freunde und Freundinnen sind lebensnotwendig, und dann und wann die Leidenschaft für die Eine zu betonen, auch. Aber muss die Betonung einer Leidenschaft und Schwärmerei unbedingt in die Artikulierung von Besitz umschlagen, die Behauptung des Mein Eigentum? Das ist der wunde Punkt. Das große Missverständnis. Der Jammer unserer Konsensgesellschaft. Darunter leidet auch unsere Beziehung zur Musik. Die wird mit einem Bleifuß durch die Kulturverwurstung getreten, auf dass sie sich wandle in Eigentum, auf dass Eigentum generiere Eigentum, auf dass uns allen das Hören vergehe.
Wer glaubt, Platten seien sein Eigentum, unterliegt einer naiven Illusion. Gewiss, da ist das Material, das eine Exemplar. Das sich gut anfühlt, in der Hand und im Auge. Die Musik darauf aber ... bleibt ein unbändiges Tier, das viele zu zähmen und manche zu streicheln wagen. Viele Hände sind es, die das Fell von diesem Tier berühren, wie könnte es da von einem Paar Händen besessen sein? Wer Musik hört, tritt in Kontakt, steht in Verbindung. Mit denen, die da auch am Hören sind. Und mit denen, die da hinter der Musik stehen. Wie soll etwas, das von vielen an verschiedenen Orten gleichzeitig oder zeitversetzt gehört wird, dem Einzelnen gehören? Ähnlich absurd wäre in Zusammenhang mit einem Telefongespräch die Vorstellung, dass einer Person dieses Telefonat gehören könnte. Das Gehörte gehört dir nicht, mir nicht. Und wenn du zehn Exemplare derselben Platte kaufst, die Musik fliegt dir um die Ohren, macht sich auf und davon. Sie kreist nicht nur um deine Ohren, sie liebt viele Ohren! So ist das Wesen der Musik.
Nun gut, wie eingangs erklärt, liebe ich diese Kolumne, und ich erzähle Euch nun von einem Schwung Platten, von denen ich sagen möchte, sie gehören mir mehr als alle anderen. Und ich spreche hier jetzt nicht von meiner eigenen Musik. Ich spreche von den zwei Handvoll Platten ohne Hülle. Nackt und ungeschützt stecken sie irgendwo zwischen den anderen Scheiben. Dies ist die Geschichte dazu ...
Den Anlass gab eine Einladung der McCarthys nach Glasgow, zu einer Gruppenausstellung auf einem still gelegten Fabrikgelände. Wiederbelebt unter dem Namen Glue Factory sollte
dort die junge Kunst erblühen, und in Gesellschaft einiger untereinander verbandelter Münchner Künstler versprach das Ganze ein bombiges Happening zu werden. Nur wusste ich zunächst nicht so recht mir einen Reim auf meine Rolle dort zu machen, denn Künstler war und bin ich nicht, zumindest kein auf dem Kunstmarkt aktiver. Aber ich bekam Lust auf eine Aktion. Eine Handlung, die mir eine real durchlebte Tat bedeutete. Es war an der Zeit, ein Opfer zu bringen! Ich packte ein paar Platten von Ikonen, deren Portraits mich lange genug von ihren Plattencovers angeglotzt hatten, sie waren nun fällig. Portraitcovers fand ich schon immer fragwürdig, eine marktschreierisch plumpe Anmache, die auch bei mir so oft gewirkt hatte. Es mussten die Covers von Idolen sein, die mir besonders wichtig waren, und natürlich durften es keine kopierten Bilder sein, vielmehr galt es, die Originalhüllen zu zerstören, sonst wäre es kein Opfer gewesen. So besorgte ich schwarzen Leim und weiße Federn und flog damit nach Schottland. In der Glue Factory angekommen, klebte ich die Hüllen zu einem Quadrat angeordnet an die Wand hinter der Bühne, spielte auf dieser im Anschluss gemeinsam mit meinen Freunden Nick, Sarah und Seb ein paar Lieder – wir nannten uns für den Anlass The Featherall Stars – während Gabi Blum die Aufgabe bewältigte, die Popstars an der Wand mit "Teer" und Federn zu bekleistern. Der ganzen Sache gab ich den Titel "The System of Doctor Tarr and Professor Feather", einer Erzählung von Edgar Allan Poe entlehnt. Auf die einzelnen Platten einzugehen macht nun wenig Sinn, ging es doch um dies: Abschied von den Idolen. Das Loslassen, die Zerstörung. Den Augenblick und das Live–Leben feiern. Ich glaube, dass mir die übrig gebliebenen nackten Platten seitdem wirklich gehören, auch wenn mir nur manche davon noch wichtig sind. "Lust For Life" von Iggy Pop, mit den Zeilen "everything was made for you and me. Cause it just belongs to you and me. All of it is yours and mine. So let's ride and ride and ride and ride." Daran habe ich mich immer noch nicht satt gehört. Die Musik so betongrau gefährlich, ungebremst, mutig, unzerstörbar. Definitiv in den Top Ten meiner Lieblingsplatten. Unzerstörbar!
Die Feier nach diesem kleinen Spektakel in der Glue Factory war sehr lustig, fröhlich und wüst, und am nächsten Morgen lasen wir in der Zeitung, dass in der Nacht auf Island der Vulkan Eyjafjallajökull ausgebrochen war, und der ganze Flugverkehr über Nordeuropa ausgesetzt wurde, was mir zwei außerplanmäßig vergnügliche Wochen in Glasgow bescherte.
Von Zeit zu Zeit ist es wichtig, Opfer zu bringen.
(zuerst veröffentlicht in IN München / März 2019)
Ok, ich tu's wieder! Aber zunächst einmal will ich ein paar Dinge klarstellen. Es ist ja schon ein paar Jahre her, da ich etwas zu dieser wunderbaren Kolumne beigesteuert habe. Dabei war mir das Schreiben für „Meine Platte“ nicht nur wichtig, vielmehr bedeutete es mir die Erfüllung meiner journalistischen Ambition! Ich erinnere mich noch, wie angetan ich als kleiner Knirps vor dreißig Jahren von der Entdeckung dieser Doppelseite war, diese sofort als relevant einstufte: Wer sich in diesem Mitmachzirkel zu Wort meldete, der bedurfte dazu augenscheinlich keines Hochschulabschlusses oder so, nein, hier dazu zu gehören bedurfte einer Legitimation auf anderem Wege, einem, der von konkreter Tat und direkter Aktion ausgehend über die Bühnen dieser Stadt führen mochte. Und das war der einzige Weg, der mich interessierte. Fünfzehn Jahre später war ich drin in der IN, schrieb dies und jenes. Und anderes. Ein Dutzendmal "Meine Platte". Dann sechs Jahre lang nichts. Warum?
Die Antwort könnte lauten: Weil die Welt eine Platte, und diese so uferlos ist. Aloha, Meer aus Musik! Selber schon das ein oder andere Tonträger–Boot mit der eigenen Musik besetzt (huch, die eigene Musik!) den Wellen und Wogen übergeben, und so manche Produktion von geliebten colegas betreut, fällt ein neuerliches Bekenntnis zu Meine Platte nicht so leicht. Welche ist sie denn nun, ene mene meine? Ihr seid so viele, eure Geschichten verschwimmen ...
Und wenn ich mich in Rillen legte, die fern von meinem Fahrwasser laufen, so mag ich kaum von meiner Musik oder meiner Platte sprechen. Nicht dass mir die Musik so fern wäre, im Gegenteil, nah ist mir so vieles, warum also sollte ich es zu mein Eigen machen? Gleichzeitig bleibt das kindlich naive Festhalten an Meine Platte irgendwie sympathisch, kauzig. Insgesamt weniger unbehaglich, als wenn ich Euch jetzt meine Freundin, meine Frau oder meinen Mann vorstellte. Um nicht falsch verstanden zu werden – Freunde und Freundinnen sind lebensnotwendig, und dann und wann die Leidenschaft für die Eine zu betonen, auch. Aber muss die Betonung einer Leidenschaft und Schwärmerei unbedingt in die Artikulierung von Besitz umschlagen, die Behauptung des Mein Eigentum? Das ist der wunde Punkt. Das große Missverständnis. Der Jammer unserer Konsensgesellschaft. Darunter leidet auch unsere Beziehung zur Musik. Die wird mit einem Bleifuß durch die Kulturverwurstung getreten, auf dass sie sich wandle in Eigentum, auf dass Eigentum generiere Eigentum, auf dass uns allen das Hören vergehe.
Wer glaubt, Platten seien sein Eigentum, unterliegt einer naiven Illusion. Gewiss, da ist das Material, das eine Exemplar. Das sich gut anfühlt, in der Hand und im Auge. Die Musik darauf aber ... bleibt ein unbändiges Tier, das viele zu zähmen und manche zu streicheln wagen. Viele Hände sind es, die das Fell von diesem Tier berühren, wie könnte es da von einem Paar Händen besessen sein? Wer Musik hört, tritt in Kontakt, steht in Verbindung. Mit denen, die da auch am Hören sind. Und mit denen, die da hinter der Musik stehen. Wie soll etwas, das von vielen an verschiedenen Orten gleichzeitig oder zeitversetzt gehört wird, dem Einzelnen gehören? Ähnlich absurd wäre in Zusammenhang mit einem Telefongespräch die Vorstellung, dass einer Person dieses Telefonat gehören könnte. Das Gehörte gehört dir nicht, mir nicht. Und wenn du zehn Exemplare derselben Platte kaufst, die Musik fliegt dir um die Ohren, macht sich auf und davon. Sie kreist nicht nur um deine Ohren, sie liebt viele Ohren! So ist das Wesen der Musik.
Nun gut, wie eingangs erklärt, liebe ich diese Kolumne, und ich erzähle Euch nun von einem Schwung Platten, von denen ich sagen möchte, sie gehören mir mehr als alle anderen. Und ich spreche hier jetzt nicht von meiner eigenen Musik. Ich spreche von den zwei Handvoll Platten ohne Hülle. Nackt und ungeschützt stecken sie irgendwo zwischen den anderen Scheiben. Dies ist die Geschichte dazu ...
Den Anlass gab eine Einladung der McCarthys nach Glasgow, zu einer Gruppenausstellung auf einem still gelegten Fabrikgelände. Wiederbelebt unter dem Namen Glue Factory sollte
dort die junge Kunst erblühen, und in Gesellschaft einiger untereinander verbandelter Münchner Künstler versprach das Ganze ein bombiges Happening zu werden. Nur wusste ich zunächst nicht so recht mir einen Reim auf meine Rolle dort zu machen, denn Künstler war und bin ich nicht, zumindest kein auf dem Kunstmarkt aktiver. Aber ich bekam Lust auf eine Aktion. Eine Handlung, die mir eine real durchlebte Tat bedeutete. Es war an der Zeit, ein Opfer zu bringen! Ich packte ein paar Platten von Ikonen, deren Portraits mich lange genug von ihren Plattencovers angeglotzt hatten, sie waren nun fällig. Portraitcovers fand ich schon immer fragwürdig, eine marktschreierisch plumpe Anmache, die auch bei mir so oft gewirkt hatte. Es mussten die Covers von Idolen sein, die mir besonders wichtig waren, und natürlich durften es keine kopierten Bilder sein, vielmehr galt es, die Originalhüllen zu zerstören, sonst wäre es kein Opfer gewesen. So besorgte ich schwarzen Leim und weiße Federn und flog damit nach Schottland. In der Glue Factory angekommen, klebte ich die Hüllen zu einem Quadrat angeordnet an die Wand hinter der Bühne, spielte auf dieser im Anschluss gemeinsam mit meinen Freunden Nick, Sarah und Seb ein paar Lieder – wir nannten uns für den Anlass The Featherall Stars – während Gabi Blum die Aufgabe bewältigte, die Popstars an der Wand mit "Teer" und Federn zu bekleistern. Der ganzen Sache gab ich den Titel "The System of Doctor Tarr and Professor Feather", einer Erzählung von Edgar Allan Poe entlehnt. Auf die einzelnen Platten einzugehen macht nun wenig Sinn, ging es doch um dies: Abschied von den Idolen. Das Loslassen, die Zerstörung. Den Augenblick und das Live–Leben feiern. Ich glaube, dass mir die übrig gebliebenen nackten Platten seitdem wirklich gehören, auch wenn mir nur manche davon noch wichtig sind. "Lust For Life" von Iggy Pop, mit den Zeilen "everything was made for you and me. Cause it just belongs to you and me. All of it is yours and mine. So let's ride and ride and ride and ride." Daran habe ich mich immer noch nicht satt gehört. Die Musik so betongrau gefährlich, ungebremst, mutig, unzerstörbar. Definitiv in den Top Ten meiner Lieblingsplatten. Unzerstörbar!
Die Feier nach diesem kleinen Spektakel in der Glue Factory war sehr lustig, fröhlich und wüst, und am nächsten Morgen lasen wir in der Zeitung, dass in der Nacht auf Island der Vulkan Eyjafjallajökull ausgebrochen war, und der ganze Flugverkehr über Nordeuropa ausgesetzt wurde, was mir zwei außerplanmäßig vergnügliche Wochen in Glasgow bescherte.
Von Zeit zu Zeit ist es wichtig, Opfer zu bringen.
(zuerst veröffentlicht in IN München / März 2019)
No hay comentarios.:
Publicar un comentario