Ich lausche Ascolta und antworte
mit Sprache, notiere Worte. Ich sollte das nicht tun, zumindest nicht
in dieser Sprache, und erst recht nicht auf diesem Schreibgerät,
einem Apple MacBook mit kaputtem Bildschirm. Um die getippten Worte
überhaupt sehen zu können ist daran ein klobiger Monitor der Firma
LG angeschlossen, aber das ist nicht der Grund, warum ich das nicht
tun sollte. Mit einem einwandfrei funktionierenden Gerät, ganz
frisch aus der Fabrik, wäre es dasselbe: Das Problem der Kohärenz
zwischen dem, was die Arbeit an Worten mittels einem seriell
gefertigten Betriebssystem leisten kann, und dem, was die hier zu
hörenden Musiker tun. Weder nehmen sie präfabrizierte Instrumente
zur Hand, noch folgt ihr Musizieren einer tradierten Spielweise –
ihr Instrumentarium (Gerät) und ihre Notenschlüssel (Sprache) sind
selbstgemacht. Mit Ausnahme der Geige von Hariolf Schlichtig
natürlich, also öffnet sich vielleicht hier eine Tür zu meinem
Tun: Die Sprache gibt die zweite Geige.
Nein. Die Sprache ist weit weg. Der
Raum, der zwischen der Sprache und Fuchs' und Babels Stromstößen,
Klopfzeichen und Pusteblumen liegt, ist auf keiner Karte markiert.
Aber auch der Raum zwischen ihr und Schlichtigs Streichen: Mal blitzt
dort ein Zitat auf, und will doch nicht genannt sein. Deswegen sucht
Zoro mich heim, damit ich Worte finde. Das intuitive Spiel mit Worten
zu illustrieren, sitzen Zoro Babel und ich uns im Raum meiner
Dachwohnung gegenüber. Wortlos aber war der Anfang, damals, als ich
ganz sprachlos und zuallererst die Beobachtung war: Das zufällige
Erlebnis von Zoros Spiel in der Maria-Bar, einem Keller der
ehemaligen Funkkaserne an der Domagkstraße München, mit
Metallscheiben und Scharnieren, ein Stockkampf mit dem Material.
Zweiundzwanzig Jahre liegen dazwischen. Und nun teilt Zoro seine
Spielkarten aus und erinnert sich und mich an die Hammerschläge, die
seinem Vater Paul Fuchs den Anfang einer selbst geschmiedeten Musik
bedeuteten.
Meine Ohren glaubten den Specht im Wald
zu hören, doch war es ein Morse-Telegraf. Das Blöken von Büffeln,
doch war es das Brodeln des Vulkans. Und Vulcanus war es, den sie
beim Fertigen der Blitz- und Donnerpfeile für Jupiter hörten, doch
glaubten sie den Eisenerzbergbau der Etrusker zu vernehmen. Dann
waren es Möwen, die kamen, um vor einem Mord in einem Stummfilm zu
warnen, doch am Himmel waren Propellerflugzeuge aus einem Weltkrieg,
sie nannten sich Mosquitos. Die Vorführung des Faradaysche Käfig im
Deutschen Museum hörten sie, doch hätte es auch die Arbeit der
Rangierer eines großen Güterbahnhofs sein können. Eine Windmühle,
die klang wie ein Zementmischer, doch war es eine Holzhand. Und
zwischenzeitlich klang das Spiel der Musiker nach Fußball, mit
anderen Vorzeichen, mit einem unwuchtigen Ball, womöglich mit runden
Kanten ... die es ja gar nicht geben kann. Oder etwa doch? Lauf,
lauf! Ein Pass, ein Lauf, ein Sturm, ein Schuss, ein Abpfiff, eine
Belehrung, eine Diskussion, aber immer: Weiter!
Im Ohr vollzieht sich eine permanente
Geburt: Ein neues Wesen kommt auf die Welt, und doch ist es nicht
neu, das neue Kind ist bereits "fertig". Entstanden lange
Zeit zuvor, beim Geschlechtsakt. Aber nein, noch eher, viel eher ...
selbst ein schnell gesagtes Wort hat eine Vorgeschichte, auch wenn
das Bewusstsein dafür weg ist: Über die Lippen kommt es mit dem
Anlauf ganzer Wort-Generationen, und seien es auch Contra-Parole,
Ablenkung und Gewölk – kein Wort kommt aus dem Nichts, aber auch
kein Klang ... ja wo kommt er her, was war davor? Es ist der Wille
zur Schöpfung selbst, der sich hier in
jedem Schlag und jedem
Rütteln hörbar
manifestiert, und doch der Logik eines Domino perpetuo obliegt. So
folgt das Spiel von Babel, Fuchs und Schlichtig einer spontanen
Gebung und Legung, wie auch einer jahrzehntelangen Vorbereitung,
Fertigung und Erfahrung.
Da fällt der Blick auf das Material:
Holzhand und Kabelungen, Fuchshorn und Fuchstuba, Stierballastsaite
und Bronzetrommeln, Gummistiefel auf Sprungfedern und Spiralen aus
Rohrstangen (Gärtner und Gärtnertraum), Holzblockwagen und
Schiefergranitplatten, Trommeln und Donnerbleche, Oszillatoren und
Motoren, Kontaktmikrofone und ein Speichermodul. Sie alle verdichten
sich zu einem Spielfeld, verwandeln das Haus in den Colline
Metallifere der südlichen Toskana in ein Klangstudio, das selbst ein
Instrument, und ich denke an den "Klanggarten" der
Hörspielredaktion im Rundfunk, mit Sandkasten, Kies und anderen
Elementen zur Simulation von Geräuschen.
Zuletzt das Bild der drei Männer, die
im Raum einer Galerie stehend ihr Spiel treiben. Es ist das letzte
Bild, das mir in den Sinn kommt, und obwohl es den Aufzeichnungen
entspricht, erscheint es mir beim Hören wie eine Fälschung. Ein
frei erfundenes, ausgedachtes Bild.
Linernotes zu Ascolta von Paul Fuchs, Hariolf Schlichtig und Zoro Babel
CD bei Echokammer
EK 087
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