2021-04-13

Serie: Filmessays zu Musikstücken von Le Millipede (8)

8th Leg / Erinnerung an Malambo:


»Tonkino« – ein Wort im Niemandsland. In kapitalen Lettern steht es auf der Außenwand von einem einstöckigen Haus mit Walldach, halb Dorfschule, halb Zeughaus, verschlossen und stumm ... allein drei Stufen und dies überschriftliche Wort heben es ab von der menschenleeren Hauptstraße: Das »Tonkino» von Großkadolz im niederösterreichischen Weinviertel. Mit der Fluchtlinie ins Pulkautal gehört ihm die Vorspielsequenz. Ein junger Mann in Schuljacke, Koffer in der Hand, wirft einen letzten Blick darauf. »Keine Fessel haltet ihn – Ehrich Weiss« steht auf dem Koffer, wie auf einer Piratenflagge. Im nächsten Bild ist der Kofferjunge schon auf dem Feldweg Richtung Wien, mit dem Kopf noch einmal im Projektionsraum von diesem stillen Tonkino – zur Vorführung einer Selbstbefreiung aus der Zwangsjacke.


Klaus Rohrmoser ist Chris, Entfesselungskünstler auf der Suche nach Engagements als Ehrich Weiss, dem bürgerlichen Namen von Harry Houdini. Eine menschliche Traumwolke, zum Regnen nicht bereit, die einfach durch »Malambo« gleitet, längst vergessenes Filmdebüt von Milan Dor. Worte aus dem Projektionsraum: »Man soll überhaupt nur das Unmögliche versuchen. Weil das Mögliche sowieso mühelos und ohne Widerstand geschieht. Man muss Widerstand leisten. Um leben zu können.« Milans Vater Milo Dor, bedeutender Wiener Schriftsteller, der wie Houdini in Budapest das Licht der Welt erblickte, gibt uns diesen bedeutenden Rat mit auf den Weg. Als Zaubermeister, mit einer weißen Taube im Schwarz der gegenlichternen Sonne.


Im Wien von Malambo sind Milan Dors Kindheit und Jugend in Belgrad mit im Gepäck, Banat und Jugoslawien noch real existent. Alle suchen ihr Glück in Wien, die Schauspieler im Film wie im echten Leben. Aber Glück und Erfolg sind zwei Paar Schuh! Miodrag Andric will in Wien auch nach seiner erfolgreichen Darstellung vom erfolglosen Mischa keiner kennen. Derweil ist Andric damals schon vor jugoslawischen Fernsehschirmen gefeierter Stand-up Comedien. Auch für die Israelin Nirit Sommerfeld wird auf ihre Darstellung der traumfängerischen Nada keine große Karriere beim Film folgen. Für Malambo verzichten sie alle auf ihre Gagen. Sie werden für immer das Fantasien von Chris bewohnen, der kein einziges Kunststück beherrscht, aber die innere Ruhe nicht verliert.


Mit dem eigentlichen Malambo, einem von Trommlern geführten argentinischen Stampftanz, hat nun dieser poetisch luftige Malambo freilich nichts zu tun. Nach einer retrospektiven Wiederaufführung auf der Diagonale Graz erklärt Milan Dor, er habe den Titel einfach deshalb gewählt, weil er sich vorstellte, dass das Wort auf einem Plakat gut wirken müsse. Ich erinnere mich so gern an jene Vorstellung im Kino Rechenbauer, ziehe den versunkenen Malambo sämtlichen millionenschweren Dor-Filmen vor. Nicht zuletzt wegen der wunderschönen Musik von Flora St. Loup! Die dafür sorgte, dass das Malambo-Wien schon 1984 nostalgisch schwang. Der 8th Leg von Le Millipede erinnert mich nun auf wundersame Weise an ihre Musik, und damit an Malambo. An die Entfesselung der eigenen Spielregeln. An ein kurzes Stück Autonomie. An das seifenblasene Glück der Straße.

                      -Pico Be in der Au, 13/04/2021


Malambo (Österreich 1984, Regie: Milan Dor. Kamera: Toni Peschke. Schnitt: Eliska Stibr. Mit: Klaus Rohrmoser, Miodrag Andric, Nirit Sommerfeld, Dietrich Siegel, Oliver Stern, Dagmar Schwarz, Georg Trenkwitz u.a.)


DVD Der Österreichische Film / Edition Der Standard #63 / Hoanzl / filmarchiv austria

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