2021-04-15

Linernotes zu Musik: JASON ARIGATO – Jason Be Sad/Jason Be Glad

Ein E-Dur-Akkord klopft an. Jasons echologische Sonografie beginnt. Wie ein Wellenbrecher im Ozean der Frequenzen stehe ich in der Schallkurve. Mit leicht angewinkelten Beinen, den Oberkörper nach vorne gebeugt, den Kopf zwischen den Boxen. Zuvor habe ich an der Soundanlage das kleine Loudness- mit dem großen Volume-Rad synchronisiert und bei Stufe Sieben eingepegelt. Vorkehrungen, die getroffen werden mussten, um Jason Be Sad / Jason Be Glad wirklich zu erfassen, von der Musik erfasst zu werden – Stereophonie ist maßgeblicher Bestandteil dieser Aufnahmen. Es zählt die Summe, gehört in Isolation, aus zwei Kanälen kommend. Da bleibt dem Kopf was zu tun. Der befindet sich langsam in einem intimen Erfahrungsraum, sich bald öffnend als still geglaubtes Jugendzimmer, sich bald wandelnd in schwingendes Gewebe der Jahrzehnte. Ich höre Konstanten: Wellen der Angst im Schlafsaal, die Liebe im Lesesaal. Unerreichbar, wie in einer fernen Galaxie, die Klasse der Bibliothekarin. Zwei Ausgänge, links der unendliche Rausch, rechts der endliche Tod. 

Schließlich erzählt diese Platte von Isolation. Nicht von "Einsamkeit/Loneliness", jener romantisierten, stilisierten Mystifikation von Isolation, die es im kanonisierten Repertoire aller Populärmuik zu hören gibt. Jene "Einsamkeit" verhandelt Jason Arigato nicht. Nein, was ich hier höre, ist der Jugend Isolation ... und Techniken ihrer Überwindung, Überbrückung. Anknüpfungsversuche im Widerhall einer Re-connection. Hier wird sie existenzialistisch ernst genommen, die Klasse der Jugend, ihr Isoliertsein von der Welt. Ich erinnere mich: An die warme Semmelluft in den gelben Telefonzellen, das Blättern in den tausendseitigen Telefonbüchern einer Stadt. An die Versuche, mit der richtigen Münzkombination eine Extrarunde hinzubekommen. An Telefonstreiche mit spätlüsternen Pensionären und prophetischen Bibliothekarinnen. Und das erwartungsvolle Hoffen auf die Offenbahrung einer interplanetarischen Dimension mittels ruckelnder Stimulation der Wählscheibe des mausgrauen Haustelefons. Bewusste Falschbedienung des Apparats. Das Eindringen in fremde Ferngespräche, die Stimmen kaum hörbar, übertönt von Säuseln und Pfeifen. Ganz ähnlich den Geisterstimmen auf den Langwellen der äußersten Randzonen des Radios.

Diese in ferner Vergangenheit versunkene Welt höre ich in Jasons Platte. Und die Grundschule mit den Geister- und Kriegsgeschichten von Herrn Feldmann. Der wie ein Beatnik im Anzug ergraute Klassenlehrer fabulierte uns Kindern was von der Existenz telepathischer Kräfte und universeller Verbindungen am Beispiel eines Experiments der Marine mit Wolfsmüttern und ihren Welpen: Ab einer gewissen Tauchtiefe war kein Funkverkehr zwischen U-Boot und Festland mehr möglich, sorgte man aber dafür, dass es den Welpen im Boot nicht gut ginge, zeigte die Mutter an Land eine eindeutige Reaktion, die zeitlich exakt korrespondierte. Ich weiß nicht, ob diese Geschichte wahr ist, aber nun, beim Hören dieser Platte, kommt sie mir wieder in den Sinn. Und ich glaube, dass es in Jasons Stereophonie eben darum geht: Erzeugung von Isolation, Zusammenführung in Wellenform, Aufhebung der Isolation. Eine Space–Age–Voodoo–Simulation.

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