Artist: H
Titel: H
Label: Echokammer
VÖ: August 2019
H
Eine Wetterstation produziert Musik:
Alle Antennen ausgefahren, gehen Baro- und Thermometer auf Peilung.
Ein Mobile aus Klangrohren klimpert ein modales Hard-Bop-Pattern im
Windkanal, im Dialog mit einem röhrenden Käuzchenruf und rhythmisch
aufschlagenden Hagelkörnern ...Was ist denn das für eine
Drohkulisse? Irgendetwas stimmt hier nicht. Die Natur ist im Argen,
oder spielen die Messgeräte verrückt? Das ist jedenfalls kein
Käuzchenruf, wie wir ihn kennen. Das Käuzchen ist böse, es hat
Hunger! Höhenluft hilft. Höhensonne auch. Oder ... ein bisschen
Vitaminologie.
Natürlich ist alles ganz anders. Die
vermeintliche Wetterstation ist die Echokammer, ein von Albert
Pöschl betriebenes Studio-Biotop in München Giesing. Dorthin
begaben sich Leo Hopfinger alias LeRoy und Tom
Simonetti alias mycrotom, um an neuen Tracks für ihr
Indie-Disco-Wildstyle-Duo Rhytm Police zu arbeiten ... und
dabei passierte einer jener glücklichen Unfälle, von denen
Wissenschaftler immer schwärmen, wenn sie wider Erwarten auf eine
bislang unbekannte Substanz stoßen. So, wie sich Pöschls
Namensvetter Albert Hofmann im Selbstversuch die Pforten der
Wahrnehmung öffneten, stießen die drei Laboranten
Hopfinger/Pöschl/Simonetti auf das Element "H", um es im
Spaltprozess einer isolierten Verdichtung aus der Rhytm Police
herauspurzeln zu sehen – hatte nicht dort, über das zehnjährige
Bestehen des Bandnamens hinweg, doch immer schon ein "H"
gefehlt? Nun also, H ist da, und mit dem alten Namen fällt
gleich mal die Disco-Party weg:
H ist Teilchenphysik für den
Chill-Out-Room. Genre: Natur&Technik. Musikalisches
Wetterleuchten!
Die einzelnen Stücke bestehen aus
mehreren Ebenen, die ein vielschichtiges Hören ermöglichen. Da ist
das Analoge (Drums: Simonetti / Bass: Hopfinger / Analoge Dub-Kanäle:
Pöschl), das eine Verbindung mit dem Synthetischen (diverse
Keyboards und Samples) eingeht. An der Schnittstelle zwischen dem
Analogen und Synthetischen lauern fiebrige Fieldrecordings. So meinen
wir, koexistierende Parallelgesellschaften in einem Stück vereint zu
hören. Ein Effekt, der durch das Prinzip einer zirkulierenden
Produktion begünstigt wurde: Nachdem die analogen Basis-Spuren
gemeinsam gelegt worden waren, wurden diese ringsherum gereicht, die
Klangmaterie bei jeder Runde neu angereichert und geschnitten, bis
aus den einzelnen Session-Tracks die vorliegenden Stücke
herausgeschliffen waren.
Inhaltlich ist dieses Album tatsächlich
auch: Heimat und Sachkunde. H überlassen den Heimatbegriff
aber nicht jenem Kollektiv, welches in stumpfer Abkapselung vor sich
hingährt und die tradierte Borniertheit zur Heimathochkultur erhebt.
Auf diesen Holzweg begeben sich H nicht. Internationaler Tiefbau
lautet stattdessen die Parole. Leo Hopfingers deutschsprachige lyrics
fahren ex negativo, schließen aus der Umkehrung auf. "Spiel
mir das Lied vom Sonnenschein. Das kann nicht so kompliziert sein –
Sonne rein ... Ohne dich säh's hier ziemlich dunkel aus."
So einen lässigen Humor hatte
in vergleichbar lakonischer Nuscheligkeit zuletzt wohl Stephan
Remmler mit Trio drauf. Deutsch ohne Pathos, geht doch.
H atmet Spannung und
Entspanntheit aus. Das ist der Zauber von H. Man findet
diese Mischung sonst vielleicht nur auf manch toller Platte aus der
sog. Kraut-Ära, Platten von Harmonia und Cluster blitzen auf, und H
könnte wunderbar neben einer Platte wie z.B. Rastakraut Pasta
von Moebius & Plank stehen, aber auch neben den LeRoy-Alben
Skläsh und Bambadea (beide
auf Schamoni Musik), This Is The Place
von Das Hobos
(ein weiteres, hochgefeiertes, alias des Duos Hopfinger und
Simonetti) und der ein oder anderen Echokammer-Produktion,
wie etwa Entrance To The Exit
von Blacken The Black.
Immer wieder zwitschern die Vögel,
hallt das Echo vom Berg, wird die Sonne zur Heimat, zur Heimat für
die ganze Welt. Ein arabesker Autotune-Gesang ertönt "Am
Zug", eine ganz und gar kosmische Musik wird hier gespielt.
Also nochmal, ex negativo, zum Mitschreiben: Heimat ist nicht der
Boden, Heimat ist die Sonne! Denn: Ohne sie sähe es hier dunkel aus!
Und wenn am "Alpensee die Luft okay" ist, dann ist
damit eben auch gemeint, dass drunten in der Ebene irgendwas so ganz
und gar nicht okay ist. H ist eben auch das: Die Revanche für
den grausamen Begriff "Heimatsound". Danke!
Ihr könnt natürlich auch mit dem
letzten Stück anfangen: "Hi! Oh, Hallo. Wie geht's? I Love
You!" Letztendlich bin ich mir sicher: Ihr versteht diese
Musik auch ohne Beipack. Viel Spaß damit!
Euer Pico Be