Artist:
Hochzeitskapelle
Titel:
If
I Think Of Love
Label: Gutfeeling
VÖ:
September 2019
Ein
Unfall ereignet sich, und Liebe und Leben sind vorbei. Pierre (Michel
Piccoli) wird mit seinem Alfa Romeo aus der Bahn geschleudert, just
in dem Moment, da er beschließt, seine Beziehung mit Hélène (Romy
Schneider) doch nicht zu beenden, ja Hélène zu heiraten. Ein
Gedanke, der ihm im vorbeibrausenden Anblick einer fröhlichen
Hochzeitsgesellschaft kommt ... Filmszenen aus Les
choses de la vie /
Die Dinge des Lebens,
die uns nun knapp fünfzig Jahre später in die hier vorliegende
Platte schleudern, um mal mit dem Ende anzufangen: Chanson
d' Hélène,
ein Original von Philippe Sarde, damals von Romy und Michel
interpretiert, setzt den Schlussakzent zu dieser neuesten Liederspur
der Münchener Hochzeitskapelle.
Ohne Worte. Die können wir uns mitdenken, die Gruppe in jener
Filmgesellschaft vorstellen, die Autofahrer gedankenverloren
überschlagen lässt. Uns vorstellen, dass die Hochzeitskapelle die
»Bande Sonore« gibt für die Hochzeiten derer, die im ewigen
Frieden ruhen.
Gut
die Hälfte der Komponisten und Originalautoren der hier versammelten
Songs schwingen schon im Jenseits. Morbid und moribund also ist
allemal, was die Indiepop-Größen Micha
& Markus Acher (The Notwist), Evi Keglmaier (Zwirbeldirn),
Mathias Götz (Le Millipede) und Alex Haas
(spielt
in knapp zwanzig Bands)
an Sousaphon, Trompete, Schlagzeug, Viola, Tuba, Orgel, Harmonium,
Posaune, Glockenspiel, toy piano und Banjo tun. Und gleichzeitig über
alle Berge erhaben. Grundsätzlich im Sitzen konzertierend, ohne
Licht und ohne Strom, von einer Bühne ganz zu schweigen, und
zwischen den Liedern essend und trinkend, entfalten sie eine
musikalische Kartographie, auf der sich mehr als einmal um die Welt
reisen lässt, uns Altes und Älteres, Fernes und noch Ferneres
näherbringend, mit dauerhaft erdender und kanonisierender Wirkung.
Doch aufgehorcht, die Route für das neue Album führt in Abgründe!
Das
zentrale Thema If
I Think Of Love
klingt wie der milde Morgen nach langem, schlimmen Sturmwetter, wie
die ersten Sonnenstrahlen nach einem tiefen, ernsten Winter. Sanft
harmonisierend, als wäre es von Johann Sebastian Bach ersonnen. Doch
geschrieben hat es die Italo-Amerikanerin Lisa
Germano,
und wer ihre Lyrics (nachzuhören auf ihrem '98er Album Slide,
oder
in
der Version ihres Bandprojekts OP8 mit Howe Gelb, Joey Burns und John
Convertino) in
Gedanken dazu summt, dem öffnen sich schlagartig die Dunkelkammern
des großen Themas Liebe. Selbstzweifel, nackte Angst, Verlust,
Trennung – für all das steht sie da, die Liebe. Und dann ist klar,
dass in dieser sanften Mildheit viel Erschöpfung ruht, nein, wir
werden in der ersten Sonne keinen euphorischen Freudentanz aufführen,
wir sitzen einfach nur da, und regenerieren uns. Für diesen Moment
steht auch Anohito,
eine
Komposition der Tenniscoats
aus Tokyo. Die Freundschaft, die bereits in das gemeinsame und noch
fortlaufende Projekt Spirit
Fest mündete,
sie
trägt hier erneut eine zarte Blüte.
Aber
oho, das Tanzbein! Ob in der peruanischen Cumbia des Sonido
Amazónico
schwingend,
oder dem Voodoo
aus Trinidad – Feuer und Fieber der ewigen Lust auf Verführung
rufen! Gefährlich! Die Night
Of The Vampire
war in der Version der von Joe Meek produzierten Moontrekkers bei
ihrem Erscheinen im Jahre 1961 von der BBC als "ungeeignet für
Leute mit schwachen Nerven" gebannt worden. Prima
Donna
von René Aubry geriert sich folgerichtig als Totentanz, wir glauben
die mechanischen Drehungen einer Spieluhrmusik, den Takt im Klackern
von Knochen zu hören – Hochzeitsmusik? Da haben wir ihn, den
bitterschwarzen Humor der Hochzeitskapelle.
Halt
oder nicht Halt, das ist hier die Frage. Haltestellen finden wir noch
mehr in Nord- denn Südamericana aus der letzten Jahrtausendwende, im
Songwriting von Elliott
Smith,
dem hier eine besondere Widmung zuteil wird, interpretiert die
Kapelle doch gleich zwei seiner nachtschwarz tristen, aber sehr
geliebten Kompositionen (Between
The Bars,
Waltz No.1).
Natürlich: Der Komponist erlag 2003 den Stichverletzungen, die ihm
im Liebeskampf entstanden waren. Oder die Suche nach einer
Haltestelle im Songwriting von Laura
Veirs
und ihrer Nightingale,
die in tiefer Trauer beschworen wird, sie möge kommen, ihr Lied zu
singen, eher ist an Ruhe und Schlaf im Traum nicht zu denken. Und
vielleicht kann allein sie Halt geben, die Rainbow
Connection,
von Paul Williams geschrieben und von Kermit, der Frosch, im Muppet
Movie gesungen. Bislang soll es kein Konzert der Hochzeitskapelle
gegeben haben, da bei diesem Song nicht Tränen geflossen waren ...
Aufgenommen
wurde die hier vorliegende Liedersammlung wie schon das von Publikum
und Kritik begeistert aufgenommene Debutalbum The
World Is Full Of Songs von
Andreas
g.rag Staebler,
und so wird auch veröffentlicht im Hause Gutfeeling, aber wer schon
das Vergnügen hatte, einer der in München lustvoll dargebotenen
temporären Vermählungen zwischen Hochzeitskapelle
und G.
Rag y Los Hermanos Patchekos
beizuwohnen, der weiß eh, das hier eine Großfamilie ihre Knospen
treibt, und die ist wahrhaft in Liebe zur Musik vereint.
Achja,
das Ende, der Anfang: Filmmusikalisch gerahmt ist dies Album! Wir
steigen ein in die Windmills
Of Your Mind,
Michel Legrands berühmter melancholischer Melodie aus The
Thomas Crown Affair. Und
ja, schließlich
ist die Hochzeitskapelle
nicht grundlos für den Deutschen Filmpreis in der Kategorie beste
Filmmusik (Wackersdorf,
Regie: Oliver Haffner) nominiert!*
*Nachtrag:
Den sie dann auch verliehen bekamen!
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