Notturno
Indiano – Joe Strummer in der Wüste
Nähert
man sich dem Cabo de Gata, Geisterland am Mittelmeer, auf der
Buslinie von Nordosten kommend, passiert man unweigerlich das
Brückendorf Lorca. Vielleicht ist es kurz vor Mitternacht, man kippt
im Flutlicht der Bar einen cortado, freut sich auf den Sonnenaufgang,
der wenige Autostunden weiter an den Stränden von La Isleta, Los Escullos und San José wartet, wundert sich, dass einem kein indio eine
Tijuana Bible andrehen will, erinnert sich wieder, dass man nicht in
Mexiko, sondern auf dem Weg nach Almería ist, und Lorca hat einen
gut in den nächsten Tag gebracht. Lorca markiert in jeder Hinsicht
eine Grenze. Hinter Lorca beginnt gesäumt von halb umgeknickten
Agaven, Kaktusfeigen und erschöpften Goldminen der Westen.
Die
grenzenlose Dürre an Angeboten lässt den Reisenden Ziele vorfinden,
die leicht und ohne Umschweife zu erreichen sind. Meine Ziele waren
klar gesteckt: Ich wollte die Fotografin Jeanne Chevalier treffen,
von der ich wusste, dass sie hier mitten im Nichts lebte, und ich
wollte Joe Strummer sehen, von dem ich wusste, dass die Möglichkeit
bestand, ihn hier zu treffen. Was ich genau von diesen Begegnungen
erwartete, war mir nicht klar, aber es waren klare Ziele und das
genügte.
Jeanne
rief ich von der einzigen Telefonzelle, die es in San José gab, aus
an und fragte sie nach ihrem Workshop. Sie sagte, der habe noch Zeit,
aber ich solle bei ihr zu Mittag essen und am nächsten Tag bot sie
mir an auf ihrer Baustelle zu arbeiten. Nach Feierabend lernte ich
während den Tischgesprächen viel über das Wesen der Kunst. Oft war
ihr Kollege und Nachbar Oscar Molina zu Gast, der mir erklärte, um
gute Fotos zu schiessen sei es wichtiger, sich durch Zeit und Raum zu
bewegen, denn das Bild durch den Sucher zu wählen. Man solle nicht
mit selektivem Blick wählen, man müsse in den Augenblick
hineingehen und dann aus der Hüfte schiessen.
In
der Abenddämmerung klapperte ich dann die wenigen Bars der Gegend
ab, auf der Suche nach Joe. Nicht durch den Sucher schauen. Ohne
selektivem Blick auf der Bildfläche erscheinen, in Bewegung
bleiben...
Joe
Strummer war nicht über Lorca, den Ort, an den
Cabo de Gata gekommen. Lorca, García Lorca, der Dichter, war für ihn das
erste Ziel seiner Suche gewesen. Paloma Romero, die später als
Palmolive bei The Slits und den Raincoats spielte, hatte dem
von Haus aus multikulturell orientierten, als John Graham Mellor in
Ankara geborenen Hausbesetzer in den Tagen seiner Zeit mit der
Pubrockband The 101ers spanische Verse von Lorca ins Ohr gesetzt.
Joe
war von Nordwesten runter gekommen, über Granada. Dorthin war er 1984
geflohen, nachdem er im selben Jahr einen artistischen Fehler
begangen hatte, der hier keine Erwähnung verdient. 1982 war noch das
letzte großartige Album von The Clash erschienen - Combat Rock,
für mich die nachhaltigste und spannendste LP dieser Gruppe, mit tropicalisch üppigen Soundtexturen, dem schnarrenden Gegrummel von Allen Ginsberg, der Zeichensprache des Graffittikünstlers Futura 2000 und diesem coolen Coverfoto, das die Band auf einer
eingleisigen Bahnlinie in Thailand zeigt. Ursprünglich hätte die
Platte als Doppel-LP mit dem Titel Rat
Patrol From Fort Bragg erscheinen sollen, aber dann besann man
sich, dass etwas Eleganz und Schlichtheit nach der vollgepackten
Wundertüte Sandinista doch angemessener sein sollten. Eine
lyrische Eleganz, die ich hinter Songtiteln wie Straight To Hell, Death Is A Star oder eben dem Albumtitel gar nicht erwartet
hatte.
In
Death Is A Star erzählt Joe etwas von einem Verbrechen, das
irgendwo in den spanish mountains stattgefunden und später im
Kino zu sehen gewesen sein muss. Nachdem er zwei Jahre später
eingesehen hatte, dass The Clash ohne Mick Jones und nicht zuletzt
ohne dem Schlagzeuger Topper Headon keinen Sinn stifteten, zog es ihn eben in diese
Berge, nach Granada.
Eine
Legende sagt, Joe habe dort eines Abends bei seinem Kumpel Jesús
Arias an die Tür geklopft und geraunt: "Komm, lass uns Spaten und
Schaufeln holen und den Leichnam von García Lorca ausgraben." Zu
verschiedenen Gelegenheiten soll Joe gerne gesagt haben: "Quiero
tener una ferretería en Andalucía – ich will eine
Eisenwarenhandlung in Andalusien haben."
Anekdoten
begannen sich auf meiner Suche quer durch den Cabo de Gata zu
verdichten. Und letztendlich war ich hier aus dem Bus gestiegen um
mir diese Sachen anzuhören. Joe Strummer hingegen war hier für
immer aus dem Business ausgestiegen. Er hatte vorher eine der
einflussreichsten Rockbands aller Zeiten gehabt, hatte sich wie ein
Berserker über die Bühnen bewegt, als wollte er einen Augenblick
mit mehr Leben füllen als das Auge einer Kamera mitschneiden kann,
als wollte er die Zeit zerschneiden.
Und
dann liebte er den weiten andalusischen Himmel, landete eines
Nachmittags mit einem Pick-up ohne Nummernschild vor der Ranch Pez
Rojo in San José, mit dem Schriftzug La vida no vale nada -
das Leben ist nichts wert über der Frontscheibe. Das Leben hat
keinen Preis. So schilderte es der Fischer Ángel.
In
Rodalquilar saß ich Javi in seiner Bar, die in einer ehemaligen
Garage eingerichtet war, gegenüber. Beziehungsweise saß er vor der
Glotze, während ich ihn als einziger Gast im Raum mit Fragen
löcherte. "Aber was willst du denn mit dem?" Javi schüttelt den
Kopf und lacht. "Wenn Joe kommt, dann bleibt er meist die ganze
Nacht. Wir rauchen Joints und ziehen uns Lines. Aber wann er kommt, kann man nicht so genau sagen. Er kommt, wann er Lust hat."
Joe
tauchte am Rande von Almería auch in einem versoffenen Trashmovie
von Alex Cox an der Seite von Grace Jones, Courtney Love und den
Pogues auf. In eben jenem Italo-Western-Setting, wo auch Fassbinder
'71 seinen Whity in den Sand gesetzt hatte.
Ein
Wirt aus Los Escullos erzählte, Joe sei eine Zeitlang ohne
Führerschein in der Gegend unterwegs gewesen. Für den Fall dass die
Guardia Civil ihn anhielt, hatte er immer ein tape von Manolo – Que viva España – Escobar zur Hand.
Mittlerweile
war es mir auch möglich, mich mit einem Auto durch den parque zu
bewegen. Auf den Streifzügen begleitete mich dabei oft ein tape,
dessen Musik wunderbar die Stimmung der Landschaft wiedergab: Earthquake Weather - kein phänomenales Album, aber von der
ambitionierten Backingband mal abgesehen eine Sammlung ganz
wunderbarer Songs. Mal tropisch schwül und sumpfig, mal weit und
plain und mit Fahrtwind - vielleicht die einzig gute Soloscheibe von
Joe Strummer. Ein Album, von dem seinerzeit, '89, kaum Notiz genommen
wurde.
Eines
Nachts dann im Pez Rojo, dieser großzügigen Ranch, mit
Billiardtischen und mehreren Bars, saß ich unter dem Sternenhimmel
im corral. Der Barman hatte gesagt: "Heute ist er da.""Meinst
du wirklich?""Ja, heute kommt er. Seguro." Ein paar Cuba Libres
später war die Zeit schon weit nach Mitternacht vorgerückt und ich
wollte langsam aufbrechen, da spielte der DJ Should I Stay Or
Should I Go - Joe Strummer is in the house! Es war natürlich der
falsche Song, so wie wenn Yesterday gespielt worden wäre um
John Lennon willkommen zu heissen. Aber tatsächlich, da war er also.
Er saß einfach draussen an einem Tisch, mit Frau und Töchtern. Was
wollte ich noch von ihm? Ich wusste es nicht. Hinzugehen hätte
keinen Sinn ergeben, wozu? Ich kam mir vor, als wäre ich am Ende von
Notturno Indiano, vom Indischen Nachtstück, einer Novelle von Antonio Tabucchi,
angelangt. Am Ende einer Suche, da nichts passiert. Weil der andere
nicht darauf wartet, gefunden zu werden, und man ihn in seiner Ruhe
nicht stören möchte.
Joe
Strummer feierte in jener Nacht seinen 44sten Geburtstag und wäre am
21. August 2012 60 Jahre alt geworden. Der „Pez Rojo“ (Roter Fisch) heisst mittlerweile
„Pez Azul“ (Blauer Fisch), und die Kleinstadt Lorca wurde im Mai letzten Jahres von einem
massiven Erdbeben erschüttert.
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